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Mehr als drei Monate

„Mehr als drei Monate“ ist meine erste Kurzgeschichte, die ich bei einem Wettbewerb eingereicht habe. Unter die ersten fünf kam ich leider nicht, aber vielleicht gefällt sie ja hier dem ein oder anderem.

Versonnen blickte ich auf den Bildschirm, bis ich auf einmal etwas Weiches gegen meine Schulter prallen fühlte: „Dieses dämlich-verliebte Lächeln hält man ja nicht aus“, kam es von meiner Kollegin Anna, die mich zuvor mit einer Packung Taschentücher zurück ins Hier und Jetzt befördert hatte. „Jetzt erzähl schon, was habt ihr denn gestern eigentlich gemacht?“ Ich strahlte bei der Erwähnung des gestrigen Tages: „Wir wollten in den Park, danach eine Runde über den Flohmarkt drehen und abends schön essen gehen.“ Annas Augenbraue ging in die Höhe. „Ihr wolltet?“ „Na ja, irgendwie sind wir dann doch bei mir gelandet. Im Bett.“ Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, während Anna nur laut lachte: „Und wie lange seid ihr dort geblieben?“ „Ähm, den ganzen Tag…“, sagte ich verlegen, während Anna längst wieder mit ihrem Computer beschäftigt war.

Als es um zwölf Uhr geklingelt hatte, spürte ich meinen Herzschlag beinahe im Hals. Selten war ich so verknallt gewesen, wie in Nick. Als ich die Tür öffnete und in seine strahlend blauen Augen blickte, wurden mir die Knie weich und ich wunderte mich, wie er auch nach drei Monaten noch so eine starke Wirkung auf mich haben konnte. Er sah mir tief in die Augen, nahm meine Hand und strich mir mit der anderen Hand eine Strähne hinters Ohr. In meinem Körper explodierten bei dieser kleinen Bewegung tausend Raketen auf einmal. Ich konnte seinem Blick kaum standhalten, so sehr rang ich mit meinem Verstand. Als er mich dann sachte zu sich heranzog und küsste, wusste ich bereits, dass wir niemals im Park ankommen würden. Langsam gingen wir, während wir uns küssten, rückwärts zurück in die Wohnung. Ich spürte seinen Herzschlag, der meinem glich. Bumm-Bumm-Bumm. Bumm-Bumm-Bumm. Unsere Herzen schienen im Einklang zu schlagen. Schnell, ungeduldig und voller Verlangen. Er führte mich Richtung Schlafzimmer. Ich genoss es, wie er mich scheinbar mühelos anhob und aufs Bett warf. Unsere Blicke begegneten sich, als er mir das Oberteil auszog. Ich sah in seinem Blick, was ich in meinem Herzen fühlte: Verlangen vermischt mit jener unbeschwerten Verliebtheit, die Menschen meist nur in den ersten Monaten des Kennenlernens empfinden.

Drei Stunden später wurde ich vom Glockenschlag wieder wach. Selig drehte ich mich zur Seite und schaute in Nicks Augen, die mich lächelnd anschauten: „Wollten wir nicht eigentlich in den Park und zum Flohmarkt?“, fragte ich ihn grinsend. „Ups, da ist uns wohl irgendetwas dazwischen gekommen“, erwiderte Nick keck und gab mir einen Kuss. Zufrieden lagen wir beide unter meiner Bettdecke und strahlten uns verliebt an. „Möchtest du denn …?“, fing er an und ich schüttelte nur den Kopf. Hier mit ihm zu liegen, zu reden, zu kuscheln und sich ineinander zu verlieren, erschien mir die perfekte Beschäftigung für einen Sonntagnachmittag. Es war fast schon unheimlich. Wir kannten uns erst drei Monate und doch hatte ich das Gefühl, wir hätten bereits ein halbes Leben miteinander verbracht. Nick, den ich eines Abends in der Bar kennengelernt hatte, hatte mich sofort fasziniert. Seine blauen Augen, in denen ich mich regelmäßig verlor und seine braunen Haare, die ich nur allzu gern durchwuschelte, waren mir sofort aufgefallen. Als aller erstes hatte ich aber sein Lächeln wahrgenommen, das scheinbar immerzu seinen Mund umspielte. In dieses Lächeln hatte ich mich auf den ersten Blick verliebt.

Zwei Stunden später knurrte mein Magen. Nick schaute mich fragend an: „Sollen wir essen gehen?“ Widerwillig schaute ich auf unsere Anziehsachen, die rund um mein Bett verteilt lagen. Nick grinste und schien meine Gedanken zu erraten: „Wir könnten auch einfach etwas bestellen.“ Lächelnd holte ich den Flyer vom Pizzadienst. Als es eine halbe Stunde später klingelte, musste Nick sich wohl oder übel doch Shorts und ein Shirt überziehen, aber nur, um diese nach dem Erhalt der Pizza wieder direkt auszuziehen und zu mir ins Bett zu kriechen. Wir blieben den Rest des Abends und der Nacht weiter im Bett liegen und ich spürte, wie mich eine tiefe Zufriedenheit überkam. So könnte der Rest unseres Lebens weiter laufen, war mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen.

Es war an dem Mittwoch in der gleichen Woche, als ich jäh von meiner rosaroten Wolke gerissen wurde. Wir waren für abends verabredet gewesen, doch Nick sagte kurz vorher ab. Er habe noch viel im Büro zu tun und müsste Überstunden machen. Das war das erste Mal, seit dem wir uns kannten. Ich spürte ein leichtes Ziehen in meinem Bauch, ignorierte es aber. Trubelige Zeiten im Büro kannte ich schließlich auch nur zu gut. Trotzdem blieben da Gedanken in meinem Kopf, die den unbeschwerten Beginn unserer Beziehung infrage stellten. Ich versuchte diese Gedanken tapfer zu verdrängen und freute mich stattdessen auf das Wochenende. Wir wollten Samstag gemeinsam Kochen und abends ins Kino gehen. Kurz vor der verabredeten Zeit, begann mein Herz schneller zu schlagen. Ich spürte, wie ich unruhig auf die Uhr blickte. Was tat ich hier eigentlich? Nur weil er mich einmal versetzt hatte, hieß es ja noch lange nicht, dass das jetzt zur Gewohnheit wurde. Energisch schob ich die negativen Gedanken beiseite und befahl mir, mich hinzusetzen. Ein erneuter Blick auf die Uhr, dann aufs Handy. Er hatte sich nicht gemeldet, also würde er auch kommen. Oder?

Als es zehn Minuten später an der Tür klingelte, spürte ich förmlich, wie mir eine Last von den Schultern fiel. Innerlich rügte ich mich selbst für meine blöden Gedanken und drückte auf den Summer. Ich hörte Nicks Schritte. Sie klangen anders als sonst. Nicht so leicht, nicht so energievoll. Abermals rügte ich mich für meine Gedanken. Dann stand er vor mir. Sah mich an und doch auch nicht. Ich hatte das Gefühl, er sah durch mich hindurch. „Hey“, sagte ich unsicher und wollte seine Hand nehmen. Er zuckte zusammen, schob sie zur Seite und ging an mir vorbei in die Wohnung. Ich schloss mit mulmigen Gefühl die Türe und folgte ihm. „Was ist los?“, begann ich und folgte seinen Blick, der unruhig durch die Wohnung ging. Ich setzte mich aufs Sofa und schaute ihn erwartungsvoll an. Er setzte sich zu mir, nur um direkt wieder aufzuspringen. Er lief auf und ab. Es hatte etwas Gehetztes, Getriebenes, wie er sich bewegte. Er erinnerte mich an ein Tier. „Was ist denn los, Nick?“, fragte ich, doch meine Frage prallte an ihn ab. Wo war das Lächeln hin, in das ich mich zu Beginn unserer Beziehung so verliebt hatte? „Sag doch etwas“, hörte ich eine Stimme, die nicht mehr viel mit meiner gemein hatte. Er fuhr sich mit den Händen durchs Haar und schaute mich zum ersten Mal an diesem Tag an. „Das bin ich.“ Verwirrt folgte ich seinen Händen, mit denen er auf sich zeigte. „Was meinst du?“ „Ich …“, fing er stotternd an und senkte den Blick. „Das bin ich. Das ist ein Teil von mir.“ Ich begriff nicht, was er mir da sagen wollte. Ich sprang auf, nahm seine Hand und schaute ihn auffordernd an: „Was ist ein Teil von dir?“ Nick suchte meinen Blick, holte tief Luft und sprach es aus: „Die Depression.“

 

Foto: Frank Mckenna

Sarah Weber ist als Journalistin und Bloggerin am Niederrhein unterwegs. 2015 hat sie ihren 2-Fach-Master in Germanistik und Niederlandistik an der Universität Duisburg-Essen abgeschlossen und ist seitdem wieder in ihrer Heimatregion unterwegs. Neben dem Schreiben engagiert sich die Wahlmoerserin auch in der lokalen Kulturszene. Auf ihrem Blog entdeckt die Journalistin die Schönheiten ihrer Heimat und lässt ihre Leser an ihrem Leben teilhaben. Mal ernsthaft, mal amüsant, aber zu 100 Prozent immer authentisch und mit Freude an ihrer Passion - dem Schreiben.